Foto des Modulsystems GXR von RicohNEX-3 mit 18-200. Foto SonyJahrzehntelang war sie für anspruchsvolle Fotografen das Maß der Dinge, die „Spiegelreflexkamera“. Seit gut einem Jahr allerdings kommen immer mehr „Spiegellose“ auf den Markt. Doch können sie eine ernsthafte Alternative sein – ja, läuten sie vielleicht gar den Untergang des Sucher-Spiegels ein?

Spiegellose Systemkameras – der Name sagt es – sind Kameras mit Wechselobjektiven, aber ohne Spiegel(reflexsystem). Aufgekommen ist der Begriff mit jenen Digitalkameras, die auf den aufwendigen (und damit teuren) Spiegelreflexsucher verzichten und das Bildsignal direkt vom Sensor auslesen und auf dem Monitor darstellen, und es zudem entweder über einen elektronischen Aufsteck-Sucher ausgeben, oder einen optischen Durchsichtsucher nutzen.

Foto der Farbvarianten der G1

Die erste Kamera dieser noch jungen Gattung war Panasonics Lumix G1 aus dem MicroFourThirds-System (MFT; Sensorgröße ca. 13×17 mm), die im September 2008 vorgestellt wurde. Dem folgte Mitte 2009 Olympus mit der Pen E-P1 (gleichfalls MFT). Ende 2009 stellte Ricoh mit der GXR eine Modul-Systemkamera vor, bei der Objektiv und Sensor eine Modul-Einheit bilden; die Komponenten können deshalb laut Ricoh besonders gut aufeinander abgestimmt werden. Dann kamen Anfang 2010 Samsung mit den NX-Kameras und Mitte 2010 Sony mit dem NEX-System (beide Systeme nutzen APS-C-Sensoren; ca. 16×23 mm) – das neue Segment ist also sichtlich beliebt bei den Herstellern.

Die Vorteile spiegelloser Systemkameras liegen, mindestens für die Hersteller, in der einfacheren Fertigung von Kamera und Sucher, und in der möglichen Nutzung aller digitalen Vorteile: Auf den aufwendigen, mechanischen Spiegelkasten mit beweglichem Spiegel kann verzichtet werden, ebenso auf eine eigenständige Autofokus-Konstruktion (Stichwort: Phasenvergleich). Bild- und Schärfesignal werden direkt vom Bildsensor abgegriffen und genutzt (Stichwort: Kontrastmessung). Live-View etwa bedarf keiner Hilfskonstruktionen und Verrenkungen, sondern steht einfach so zur Verfügung. Wohingegen der Spiegelreflexsucher ja zwischen Objektiv und Sensor sitzt und den Sensor bei heruntergeklapptem Spiegel – während der Bildbetrachtung also – erstmal blind macht. Bei einer Spiegelreflexkamera sind Hilfs-Bildsensoren oder teildurchlässige Spiegel notwendig, wenn auch der Rückseiten-Monitor das Motiv ständig zeigen soll.

Foto der NX10 von Samsung

Die digitale Variante galt allerdings lange, und das zu Recht, als nicht konkurrenzfähig. Wir erinnern uns: die ersten Digitalkompakten hatten extrem lange Auslöse- und Autofokuszeiten, was spontane Fotos nicht möglich machte (Ähnliches ist heute noch mitunter bei Fotohandys zu beobachten). Doch das ist Schnee von gestern. Panasonics Lumix GH2 etwa zeigt, dass „analoge“ Techniken künftig obsolet werden könnten. Die GH2 erreicht Auslöse- und Autofokus-Geschwindigkeiten, die herkömmlichen Spiegelreflexkameras keinesfalls mehr nachstehen. Auch die elektronischen Sucher werden immer besser, und sind, wenn nicht heute, dann morgen, eine mindestens gleichwertige Alternative zum optischen Sucher (dabei billiger herzustellen; zumal mit 100-%-Sucherbild). Und sie haben Vorteile, wenn man sich erstmal umgewöhnt hat. Wie ein Kollege es so treffend formulierte: „Durch den Spiegelreflexsucher sehe ich das Foto so, wie ich mir wünsche, dass es aussehen möge, im elektronischen Sucher dagegen so, wie es tatsächlich aussehen wird.“

Foto der Lumix GH2 von Panasonic

Letztlich kann die digitale Variante – theoretisch – auch mit höherer Genauigkeit punkten: Das originale Bildsignal wird ja direkt vom Bildsensor abgegriffen und ausgewertet, was irgendwelche Justagen überflüssig macht und damit mögliche Ungenauigkeiten von vorneherein ausschließt. Da ist die 100-prozentige Genauigkeit nur eine Frage der Schnelligkeit, des Signalweges, des Bildprozessors, und der Güte der Software-Algorithmen. Das Sucherbild mit 100 % – einst Ausstattungsmerkmal der teuersten Profimodelle – ist heute in der billigsten Digitalkompakten selbstverständlich. Am Autofokus – besonders an dessen Schnelligkeit – forschen die Hersteller noch, sind aber auf gutem Weg.

Wobei zumindest in der Theorie der Phasenvergleichs-AF immer schneller sein wird als der Kontrast-AF: Bei ersterem wird tatsächlich die Entfernung über eigene AF-Sensoren gemessen und eingestellt (Stichwort: Triangulation); nur ein Wert muss ermittelt werden, und gut. Wohingegen der Kontrast-AF in einem Iterationsverfahren (Vergleichsverfahren) nach dem höchsten Bildkontrast auf dem Bildsensor sucht – er muss also immer mehrere Werte ermitteln und vergleichen.

Damit sind auch schon die wesentlichen Vorteile genannt, die heute aus technischer Sicht noch für eine Spiegelreflexkamera sprechen: Der optische Sucher mit dem hellen Sucherbild und der – theoretisch – schnellere Autofokus. Derzeit muss zudem noch das Kameraangebot als Vorteil gewertet werden: Ausgesprochen professionelle Kameras (schnell, solide, dauerhaft) sind aktuell nur als Spiegelreflex zu bekommen.

Ausgerechnet die beiden Großen Canon und Nikon haben überraschenderweise noch kein Wort zu spiegellosen Systemkameras oder neuen Kamerakonzepten verloren, sondern setzen noch ganz auf das Spiegelreflexprinzip. Was einerseits verständlich ist, steht doch eine große Nutzerschar mit einer sehr großen Objektivbasis hinter beiden, und der kann und will man wohl noch nicht so ohne Weiteres zumuten, in ein neues System mit gänzlich neuen Objektiven zu investieren. Andererseits: Sony etwa zeigt beim NEX-System, dass auch das geht: Ein Adapter erlaubt die autofokussierende Nutzung auch der alpha-Objektive.

So spielt sich das spiegellose Spiel derzeit unter den „Neulingen“ ab; es sind jene Firmen, die sich erst vor wenigen Jahren zum ernsthaften Einstieg in den Fotomarkt entschlossen haben: Samsung, Sony, Panasonic. (Ja, auch Olympus hat spiegellose Systemkameras, aber die Initiative zu MFT, und damit zu den Spiegellosen, ging maßgeblich von Panasonic aus.)

In Japan – einem traditionell sehr technikaffinen Markt, der Neuerungen gerne und schnell annimmt – erreichen die Spiegellosen Marktforschern zufolge bereits einen Marktanteil von gut 35 %; zwar erst seit Mitte des Jahres 2010 und nur für einzelne Monate, aber immerhin, denn sehr viel länger gibt es die meisten Spiegellosen ja noch gar nicht zu kaufen. Hier bei uns, so wird geschätzt, wird der Marktanteil in 2010 immerhin bei gut 10 % liegen. Das neue Konzept wurde also überraschend schnell angenommen – wir erinnern uns: die allererste Kamera dieser Gattung wird seit November 2008 ausgeliefert; als System und Alternative wird dieses Segment erst seit 2010 wahrgenommen.

Das bedeutet nun aber keinesfalls, dass Canon und Nikon „abgehängt“ sind oder werden, oder gar einen Trend verschlafen, wie manche Medien unken. Noch halten die beiden zusammen knapp 80 % des weltweiten Systemkameramarktes; wobei Canon leicht vorne liegt. Und man darf davon ausgehen, dass die beiden sich das Geschäft nicht aus der Hand nehmen lassen werden; sei es wie derzeit noch mit Spiegelreflexkameras, sei es künftig mit Systemkameras jedweder Art.

Wobei vieles darauf hindeutet, dass spiegellose Systemkameras den Markt mittel- und langfristig übernehmen und beherrschen werden. Sind doch mit dieser Technik tendenziell billigere Kameras (weil mit weniger Mechanik) einfacher und mit allen digitalen Möglichkeiten (100-%-Bildbeurteilung, Live-View, …) realisierbar. Und die Geschichte zeigt immer wieder, dass da, wo sich Mechanik durch Elektronik ersetzen lässt, dies früher oder später auch geschieht.

Dafür sprechen, das sei nochmals betont, nicht nur wirtschaftliche und fertigungstechnische Gründe. Nein, auch der Käufer hat etwas davon: Interessante Kameras mit mehr technischen und fotografischen Möglichkeiten.

Wer doch noch auf dem optischen Sucher besteht, der kauft sich dann eben eine Spiegelreflexkamera aus der Nische. Oder eine Spiegellose mit optischem Sucher.

(thoMas)
 
 
Anmerkung: Der Artikel entstand auf Anregung und nach einer Idee der photonews-Redaktion und ist zuerst in PHOTONEWS, Ausgabe Dezember 2010 – Januar 2011, erschienen; wir zweit-veröffentlichen ihn hier mit freundlicher Genehmigung. Danke schön.