Ausschnitt aus Jürgen Klauke: aus Reiz Reaktionssystem 2004/2006Jürgen Klaukes künstlerisches Werk stellte von Anfang an die eigene Person ins Zentrum. Stets war es der Kölner selbst, der auf seinen Fotografien zu sehen war – der sich in Performances der Öffentlichkeit stellte. Über die Jahre wurde Jürgen Klauke zu einem der bedeutendsten deutschen Performance-, Foto- und Medienkünstler. Heute ist er ein Klassiker der Fotokunst, dem in regelmäßigen Abständen große Retrospektiven ausgerichtet werden:

Aktuell ist Klaukes Werk im Karlsruher ZKM zu sehen, eine Ausstellung, die 110 Arbeiten des Künstlers präsentiert, und die im Anschluss in das Museum der Moderne in Salzburg gehen wird. Gezeigt werden neuere Werkgruppen des Künstlers: die Serien großer Schwarzweißfotografien „Ästhetische Paranoia“ und „Wackelkontakt“, aber auch das riesige Tableau „Schlachtfelder“, das aus 144 Farbfotografien besteht, sowie ein Environment aus Plasma-Bildschirmen mit dem Titel „Ich gehe – Ich stehe“ aus dem Jahr 2003.
 

Foto

Jürgen Klauke:
aus Sich selbst optimierendes System, 2004/2006; Fotoprint, 180 x 240 cm. © Jürgen Klauke / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

 
Bekannt wurde der 1943 in Kliding bei Cochem an der Mosel geborene Klauke – der seit 1993 als Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien in Köln lehrt – schon früh, in den siebziger Jahren, mit Bildern, welche gesellschaftlich normierte Geschlechter-Identitäten und sexuelle Verhaltensmuster hinterfragten: „Transformer“, „Die Lust zu Leben“ und „Formalisierung der Langeweile“ hießen seine frühen Serien – hervorragende Beispiele einer subjektiven Körperfotografie.

Durch den eigenen Körper die Welt darstellen – das war die künstlerische Idee Klaukes: Von Anfang an zeigt er sich selbst als ein zwischen den Identitäten wechselnder „Transformer“. Mal Mann, mal Frau, mal etwas dazwischen: Menschsein bedeutet für Klauke die Fähigkeit, eine Vielfalt von Erscheinungen anzunehmen. In der Nachfolge von Künstlern wie Pierre Molinier – aber auch zeitgleich mit den androgynen Bildern der Popkultur eines David Bowie, Brian Eno oder Lou Reed – entstanden irritierende Fotografien, die den Körper des Künstlers als Projektionsfläche multipler Identitäten zeigten, die aber auch die Lust des Künstlers an einem freien, uneindeutigen Leben offenbarten. Klauke war ein Avantgardist, ein radikaler Neuerer, ein Pionier der Fotokunst – einer, der intensiv über die Möglichkeiten und Chancen der Fotografie nachdachte. Zu einer Zeit, als sich Fotokunst noch kaum in den Museen und Galerien etabliert hatte.
 

Foto Jürgen Klauke: aus Reiz Reaktionssystem 2004/2006

Jürgen Klauke: aus Reiz Reaktionssystem, 2004/2006; 125 x 171 cm, Fotoprint. © Jürgen Klauke / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

 
Klaukes weitere Werkgruppen tragen Titel wie „Sonntagsneurosen“, „Auf leisen Sohlen“ oder „Desaströses Ich“, was schon viel über die Stoßrichtung dieser Kunst aussagt: Fotografie war bei Klauke stets mehr als Abbild und Dokumentarismus: Tief ins Ich sollte die Kunst, sollten seine oft mit Hilfe von einfachen Alltagsgegenständen inszenierten Selbstbilder leuchten. Fiktive Identitäten nahm Klauke an, um Unausgesprochenes, Ängste und Begierden zum Thema zu machen.

Von Anbeginn arbeitete Klauke auch mit dem Medium der Performance, schon 1977 nahm er an der documenta 6 teil, später dann noch einmal an der documenta 8. In der Darstellung des eigenen Körpers ging Klauke oft an Grenzen, um die Untiefen und Absurditäten der menschlichen Existenz auszuloten.

Auch die neuen, mal minimalistischen, dann surrealen Arbeiten Klaukes nehmen diesen Faden auf: Der Titel der aktuellen Ausstellung spielt auf Dalís „paranoisch-kritische Methode“ an, die der Surrealist in seiner 1935 erschienenen Schrift „Die Eroberung des Irrationalen“ beschreibt. Für Klauke ist die Paranoia – die paranoide Wahrnehmung – ein Zeichen unserer Zeit. Klaukes Motto „Mit sich die Welt darzustellen“, sein Ansatz, sich selbst als Material der Darstellung zu begreifen, ist bis heute aktuell, auch wenn der Künstler für seine neuen Arbeiten nicht immer auf Selbstbilder zurückgreift.
 

Foto Jürgen Klauke: aus Schlachtfelder 2009/2010

Jürgen Klauke: aus Schlachtfelder, 2009/2010; 12 Tableaus je 150 x 280 cm, gesamt 3 x 16,32 m, Fotoprints. © Jürgen Klauke / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

 
So sind in der Karlsruher Ausstellung etwa Fotografien aus Schlachthöfen zu sehen: Blutiges, Abgründiges, das Klauke zu dem intensiv-irritierenden Tableau „Schlachtfelder“ verdichtet. Ein monumentales Werk, das, so Klauke in einem Interview, „wie eine Injektion in die große Schwarz-Weiß-Show hineinragt“: „So fremdartig die Arbeit auf den ersten Blick wirken mag – so schlüssig findet sie sich ein in mein experimentelles Denken und Handeln.“ Die Schau in Karlsruhe ist noch bis zum 3. Oktober 2010 zu sehen – in Salzburg wird die Ausstellung anschließend bis zum 6. März 2011 präsentiert.

(Marc Peschke)
 
 
Ausstellung:
Jürgen Klauke. Ästhetische Paranoia
ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe
Bis 3. Oktober 2010

Museum der Moderne Salzburg
23. Oktober 2010 bis 6. März 2011

Katalog:
Zur Ausstellung ist ein Katalog im Hatje Cantz Verlag erschienen:
Jürgen Klauke: Ästhetische Paranoia (bei amazon.de)
Mit Beiträgen von Andreas Beitin, Régis Durand, Christian Katti und Ursula Frohne, Thomas Macho und Peter Sloterdijk sowie einem Interview von Heinz-Norbert Jocks mit Jürgen Klauke
Deutsch, Englisch. 252 Seiten. Gebunden
ISBN 978-3-7757-2594-1
€ 39,80
 

Foto

Jürgen Klauke: aus Ästhetische Paranoia, 2004/2006; 180 x 240 cm, Fotoprint. © Jürgen Klauke / VG Bild-Kunst, Bonn 2010