Vor fünf Jahren bahnte sich mit dem Insolvenzantrag der AgfaPhoto GmbH der Untergang der „klassischen Agfa“ an. Wie und warum es dazu kommen musste, das weiß noch immer keiner so genau – oder doch?

Heute vor genau fünf Jahren, am 27. Mai 2005, wurde bekannt, dass ein Insolvenzverfahren über die AgfaPhoto GmbH eröffnet wird. Die Meldung kam völlig überraschend, schließlich war dieser „Big Player“ im weltweiten Fotomarkt erst im November 2004 von einer Investorengruppe um den Münchner Dr. Hartmut Emans von Agfa-Gevaert gekauft worden und als „finanziell sehr gut aufgestelltes Unternehmen“ (so der damalige Pressetext) an den Start gegangen. Aber knapp sieben Monate später war AgfaPhoto zahlungsunfähig. Wie konnte es dazu kommen? Die Beteiligten schweigen. Doch nun kommt Licht ins Dunkel. Denn photoscala konnte einige, darunter auch interne, Unterlagen einsehen. Sie zeigen, wie AgfaPhoto in die Insolvenz gepokert wurde. (Zur Klärung der Firmenzusammengehörigkeiten und -abhängigkeiten siehe Nachtrag.)

Bis Mitte März 2005 schien die Welt der AgfaPhoto noch in bester Ordnung: Das Unternehmen hatte anscheinend keine Bankverbindlichkeiten, eine sehr gute Bilanzstruktur und Finanzchef Bamberger betonte im Aufsichtsrat, dass es im Jahr 2005 „voraussichtlich keinen externen Finanzierungsbedarf“ geben werde. Aber es tickte eine Bombe: Denn entsprechend der Verträge hatten die weltweiten AgfaPhoto-Gesellschaften die Foto-Warenvorräte von Agfa-Gevaert zu kaufen. Das summierte sich auf 45,1 Mio. €. Ende März wollte Agfa-Gevaert dieses Geld von AgfaPhoto haben – aber AgfaPhoto hatte das Geld nicht und lehnte mit Schreiben der Herren Rottie und Bamberger am 21. April 2005 die Zahlung einstweilen ab. Das war der Anfang vom AgfaPhoto-Ende.

Das Verhältnis zwischen den Parteien war schon seit längerem angespannt. Nun kam es zur Eskalation, da Agfa-Gevaert seinerseits die Zahlungen einstellte. Es folgten Gespräche, Treffen, Briefe. Dabei konzentrierte sich die Argumentation (in meist höchst gereizter Tonlage) immer auf vier Eckpunkte: Auf zwei Kreditlinien, das Inkasso-Verfahren und den Kaufpreis.

Beginnen wir mit der ersten Kreditlinie. Sie ist diejenige, über die AgfaPhoto-Chef Eddy Rottie den Mitarbeitern gegenüber gesagt hatte, bereits am ersten Tag stünden dem Unternehmen mehr „als 70 Mio. € Barmittel“ zur Verfügung. Tatsächlich teilte sich diese Summe auf: 22 Mio. € wurden als Kredit der Investoren geleistet (weniger vom Hauptgesellschafter Hartmut Emans, sondern von den amerikanischen Finanziers), 50 Mio. € sollten als Bar-Kreditlinie der Dresdner Bank hinzukommen. Aber noch bevor AgfaPhoto seinen Betrieb überhaupt aufgenommen hatte, wurde diese Kreditlinie ersatzlos gestrichen.

Als AgfaPhoto das Geld ausging, hielt sie der Agfa vor, diese Streichung sei auf deren ausdrücklichen Wunsch erfolgt. Damit sollte die Agfa vermutlich zu einem Entgegenkommen in anderer Weise bewegt werden. Aber Agfa-Gevaert entgegnete, die Kreditlinie sei einvernehmlich gestrichen worden – tatsächlich wurde der Vertrag mit der Streichung auch von beiden Seiten unterzeichnet.

Die zweite Kreditlinie betrug laut Rottie „zunächst 50 Mio. €“ und sollte zudem „bei Bedarf“ deutlich erhöht werden können. Tatsächlich aber betrug diese „factoring facility“ genannte Kreditlinie bei der KBC-Bank am Anfang Null Euro und war, als Bedarf bestand, in keiner Weise zu erhöhen. Denn ihre Höhe hing von der Geschäftsentwicklung der AgfaPhoto ab. Zu Beginn ihrer Existenz hatte AgfaPhoto aber noch gar keinen Umsatz gemacht und da sich das Geschäft auch nicht so entwickelte wie geplant, standen zur Zeit der Insolvenz keine 50 Mio. €, sondern nur 20 Mio. € zur Verfügung.

Doch auch dieses Geld wurde von AgfaPhoto selbst in höchster Not nicht in Anspruch genommen. Denn Insolvenzfachanwalt Jauch, der AgfaPhoto beriet (und nach der Insolvenz deren Geschäftsführer wurde), warnte vor möglichen juristischen Konsequenzen, weil dieser Betrag allein zur Vermeidung einer Insolvenz längerfristig wohl nicht ausgereicht hätte. Agfa-Gevaert in Mortsel sah das ganz anders: Immer wieder wurde AgfaPhoto aufgefordert, erst einmal diese Kreditlinie zu nutzen, statt Forderungen an Agfa-Gevaert zu stellen.

Dritter Knackpunkt: Das Inkasso. Weil AgfaPhoto keinerlei Infrastruktur hatte, um die Geschäfte mit den Kunden abwickeln zu können, wurde das von der Agfa-Gevaert übernommen: Dort wurden die Rechnungen erstellt, dorthin zahlten die Kunden. Das Geld sollte dann (nach Abzug der Handlingkosten) an AgfaPhoto weitergeleitet werden – aber nur Agfa-Gevaert hatte die Hand am Geldhahn. Und als AgfaPhoto Ende April ankündigte, die geforderten 45,1 Mio. € einstweilen nicht zu bezahlen, drehte Agfa-Gevaert den Geldhahn zu.

Schließlich der Kaufpreis: Ursprünglich war von 175,5 Mio. € die Rede. Dieser Betrag sollte aber auf Basis gemeinsamer Erkenntnisse noch genau festgelegt werden. Finanziert werden sollte der Kaufpreis durch die Einnahmen aus dem Leasing von Laborgeräten. Hier konnte mit einem Zufluss über die Laufzeit von insgesamt rund 175 Mio. € gerechnet werden. Der Kauf hätte sich also selbst bezahlt. Und da schon bei Vertragsschluss von einem letztlich niedrigeren Kaufpreis ausgegangen wurde, war ein erheblicher Überschuss zu erwarten. Allerdings flossen die Einnahmen aus dem Leasing-Portfolio bis zur kompletten Bezahlung des Kaufpreises auf die Konten der Agfa.

Im März 2005 stellte Agfa-Gevaert ohne Abstimmung mit AgfaPhoto einen Kaufpreis von 112 Mio. € in ihre Bilanz ein. Die Differenz zwischen diesem Betrag und den (höheren) Leasing-Einnahmen hätte die Kassen von AgfaPhoto gut füllen können, weshalb AgfaPhoto auch die Freigabe des Leasing-Portfolios forderte. Aber Agfa-Gevaert verlangte, diesen Preis dann auch als endgültig anzuerkennen. Das aber kam für AgfaPhoto nicht in Frage. Denn die ging damals von einem Kaufpreis um 20 Mio. € aus. Der Streit war entsprechend heftig. Und da sich keine Seite bewegte, gab es keine kurzfristige, einvernehmliche Lösung, die die Insolvenz hätte verhindern können.

Zwei Jahre später, Mitte Juli 2007 – und damit lange nach der Insolvenz –, wurde der Preis in einem Schiedsgerichtsverfahren auf 81 Mio. € festgesetzt. Bei Zustimmung zu den 112 Mio. € hätte AgfaPhoto also deutlich zu viel gezahlt. Andererseits wäre es damit wohl nicht zur Insolvenz gekommen. Doch zwei Jahre danach ist der Wert des Leasing-Portfolios durch die Insolvenz stark gesunken. Ob sich im Jahr 2007 nach Abzug des Kaufpreises noch ein ähnlich hoher Überschuss ergeben hat, wie er sich trotz höheren Preises 2005 ergeben hätte, darf bezweifelt werden. (In 2005 hätte AgfaPhoto bei einem Kaufpreis von 112 Mio. Euro und einem Wert des Leasing-Geschäfts von 175 Mio. Euro einen rechnerischen Überschuss von 63 Mio. Euro erzielen können.)

Klar ist allerdings auch: In 2005ff hätte damit eine Firma mit über 2.000 Mitarbeitern finanziert werden müssen – dieser „Ballast“ war 2007 nicht mehr vorhanden.

Wobei nach überwiegender Meinung der Arbeitsgerichte die Mitarbeiter fehlerhaft über den Betriebsübergang informiert wurden und deshalb ihre Zustimmung zum Wechsel in das neue Arbeitsverhältnis unter falschen Voraussetzungen gaben.

Um diese Punkte ging es in den letzten Wochen der AgfaPhoto GmbH. Und obwohl das Thema „Insolvenz“ immer fassbarer wurde, bewegte sich keine Partei auch nur um einen Millimeter (wobei die Holding nach eigener Darstellung immer wieder das Gespräch mit der Agfa-Gevaert gesucht hat, was seitens Agfa-Gevaerts verweigert worden sei). Es war wie beim Poker: Statt eine gemeinsame Lösung zu suchen, wurde beäugt, ob nicht die Gegenseite einknickt. Das geschah aber nicht. Denn der Einsatz war ja nicht existenziell: Die Muttergesellschaft der GmbH, die AgfaPhoto Holding, war von der Insolvenz nicht betroffen und konnte ihr Geschäft mit Markenlizenzen auch ohne die AgfaPhoto GmbH betreiben. Und Agfa-Gevaert wollte sich ja ohnehin von der Fotosparte trennen.

Was im Nachhinein (auch) dem Insolvenzverwalter Dr. Ringstmeier auffiel: AgfaPhoto war anscheinend allein darauf fokussiert, Agfa-Gevaert von seinen Positionen abzubringen. Denn darüber, dass AgfaPhoto den ernsthaften Versuch unternommen hätte, das Finanzproblem unabhängig von der Agfa-Gevaert zu lösen, ist nichts bekannt. Der Insolvenzverwalter schreibt im Juli 2005: „Zwar verfügt die AgfaPhoto GmbH über durchaus beachtliche Vermögenswerte, die die Kreditaufnahme in der erforderlichen Höhe erlaubt hätten, doch war die Geschäftsleitung der Meinung, ein Kredit sei wegen des nicht vorhandenen Rechnungswesens auf dem Markt nicht zu erlangen.“

Das liest sich nicht so, als hätten die Beteiligten alles Machbare und Mögliche versucht, um die Insolvenz der AgfaPhoto GmbH (einstmals rund 2900 Mitarbeiter weltweit) zu verhindern.

(thoMas / mit Dank an die Hinweisgeber)
 
 
Nachtrag zur Begriffsklärung:
Agfa-Gevaert verkaufte 2005 das Agfa-Fotogeschäft („Consumer Imaging division“) an die AgfaPhoto Holding GmbH, die wiederum den Produktions-Teil (Filme, Fotopapiere, Laborgeräte) in die 100-%-Tochter AgfaPhoto GmbH auslagerte; die Markenrechte und Finanztransaktionen (Kaufpreis, Leasing-Portfolio, Lizenzvergaben, …) verblieben aber im Wesentlichen bei der Holding. Insolvent ging die AgfaPhoto GmbH, während die AgfaPhoto Holding GmbH seitdem die Markenrechte lizenziert (und möglicherweise unterdessen auch einen nennenswerten Betrag aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis für Agfas Fotosparte und dem Wert des Leasing-Portfolios erlöst hat: letzterer wird auf 100 Mio. Euro geschätzt, ersterer betrug 81 Mio. Euro).
 
 
Siehe auch:
AgfaPhoto stellt Antrag auf Insolvenzverfahren
AgfaPhoto-Pleite holt Agfa-Gevaert ein
AgfaPhoto kontra Agfa-Gevaert – der Krimi
Agfa-Pleite holt Konzernchef Verhoeven ein
Agfa-Gevaert: Verkauf der Fotosparte war in Ordnung
ICC-Schiedsverfahren: Agfa-Gevaert erzielt mit Cleary Freispruch
AgfaPhoto Holding darf „AgfaPhoto“ lizenzieren
AgfaPhoto – ein Zwischenbericht
Agfa-Gevaert Investor Relations
 

(thoMas)