George Orwells Roman „1984“ zeichnet einen Überwachungsstaat, den sich zur Zeit des Autors wohl nur er selbst vorstellen konnte. Heute allerdings ist das Werk aktueller denn je und wird gerne zitiert, um derzeitige Überwachungsmaßnahmen des Staates überspitzt darzustellen:

Vorwiegende Ziele der Videoüberwachung sind – glaubt man Politik und polizeibehördlichen Auskünften – etwa die Abschreckung potentieller Täter, die Unterstützung polizeilicher Ermittlungen sowie die Stärkung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung. Der Aufbau eines in Innenstädten dichten Netzes von Videoanlagen soll zusätzlich durch persönliche Präsenz der Polizei ergänzt werden.

So weit so gut. Aber wie sieht es mit den Ergebnissen aus?

Erste Untersuchungen von Landespolizeibehörden scheinen darauf hinzudeuten, dass die Einführung von Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen zur Minderung der Kriminalität in Innenstädten führt. So sind insbesondere auf dem Gebiet der Eigentums- und Vermögensdelikte rückläufige Zahlen zu verzeichnen (z.B. Einbruch sowie PKW-Diebstahl). Ebenso sind laut Polizeiberichten die Fälle von Körperverletzungen und Raubüberfällen in Innenstädten rückläufig. Im Ergebnis könne in einem Zeitraum von 5 Jahren ein Kriminalitätsrückgang von 50 % in überwachten Gebieten festgestellt werden, so die polizeiliche Erfassung.

Diese Erfolgszahlen stammen von den Behörden selbst, die naturgemäß ein ureigenes Interesse an Überwachung haben. Dies sollte bei der Beurteilung des Nutzens von Videoüberwachung stets bedacht werden.

Allgemeine Rechtslage bei Videoüberwachung

Unabhängig von Ihrer faktischen kriminalistischen oder präventiven Wirkung bedeutet die Sichtung, Aufzeichnung und datenmäßige Speicherung von Personenaufnahmen stets einen Eingriff in geschützte Rechtssphären. Hierzu zählt selbstverständlich das Persönlichkeitsrecht, welches unmittelbar aus Artikel 2 GG abgeleitet wird. Es gibt jedoch weitere Hürden, die eine Videoüberwachung, sei sie staatlich oder privat bedingt, überwinden muss.

So verbietet bereits das Telekommunikationsgesetz (TKG) schon den bloßen Besitz von Sendeanlagen, die ihrer Form nach einen anderen Gegenstand vortäuschen oder die, als Alltagsgegenstände getarnt, besonders geeignet sind, Personen und Abläufe unbemerkt aufzunehmen (vgl. § 90 TKG).

Nach § 22 Kunsturhebergesetz (KUG) wiederum dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die bloße Aufnahme ist zwar grundsätzlich erlaubt, jedoch nicht, sofern sie etwa nach TKG untersagt ist oder aus sonstigen Gründen unzulässig ist (Spionage, Art. 2 GG, Intimsphäre usw.).

Schließlich bestimmt § 6b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), dass die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) nur zulässig ist, soweit sie

1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke

erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

Dass letztere Vorschrift aufgrund ihrer generalklauselartigen Formulierung bereits in sich erhebliches Konfliktpotential enthält, dürfte offensichtlich sein. Hieraus folgt die derzeit steigende Anzahl an Gerichtsverfahren mit datenschutzrechtlicher Relevanz. Bereits jetzt lässt sich aber feststellen, dass eine Videoüberwachung stets auch einem Zweck dienen muss. Zumeist wird dies die private oder öffentliche Gefahrenabwehr sein.

So haben nicht nur Polizeibehörden die Videokamera als Überwachungsinstrument entdeckt. Die nachfolgenden Gerichtsentscheidungen verdeutlichen das Ausmaß der Kontrollen und den immer noch bestehenden Konflikt zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsgeist in der Bevölkerung.

Treppenhausüberwachung in Mietshäusern

In München hatte das Amtsgericht (Az. 423 C 34037/08) darüber zu entscheiden, ob die Mieter eines Gebäudes die Entfernung der – zu Sicherheitszwecken in das Treppenhaus installierten – Überwachungskamera beanspruchen konnten. Das Gericht bejahte dies und wies darauf hin, dass eine derartige Überwachung des Hauseingangsinnenbereichs einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht des Mieters sowie in dessen Besitzrecht an der gemieteten Wohnung darstelle. Dies gelte unabhängig davon ob eine Speicherung erfolge oder nicht.

Diese Art der Überwachung könne allenfalls gerechtfertigt sein, wenn sie eindeutig und zielgerichtet geeignet sei, Straftatbestände (Diebstahl, Sachbeschädigungen) zu verhindern. Dies sei aber bei dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht der Fall gewesen, da entscheidende Teile des Hauseingangs unbeobachtet blieben.

Der Nachbar als Big Brother

Allgemein bekannt ist, dass Hauseigentümer ein besonders großes Interesse am Schutz vor Einbrechern haben und dieses auch anhand von Videoanlagen zu befriedigen suchen. Dies zeigt ein veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. VI ZR 176/09). Dabei ging es darum, dass ein Nachbar insgesamt 7 (!) Videokameras auf seinem Grundstück installieren ließ, mit denen sein eigenes Grundstück vollumfänglich kontrolliert wurde. Hiergegen klagten die Nachbarn, die ihre Privatsphäre durch die Installation gefährdet sahen. Der BGH entschied, dass bereits der begründete Verdacht bildlicher Observierung das Persönlichkeitsrecht der Nachbarn verletze. Diese müssten die Videoanlage allerdings dann dulden, wenn aufgrund des Aufbaus sichergestellt sei, dass nur das betroffene Überwachungsgrundstück gefilmt werde.

Überwachung von Kunden in Gastronomiebetrieben

Das Amtsgericht Hamburg hatte seinerseits über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Gastronomiebetrieb Kundenbereiche mit Videokameras überwacht hatte. In seinem Urteil 22.04.2008 (Az. 4 C 134/08) hat das Gericht der Kaffeehauskette untersagt, die Sitzbereiche ihrer Filialen in der Hansestadt mit Videokameras zu überwachen. In öffentlich zugänglichen Räumen, in denen sich Menschen typischerweise länger aufhalten und miteinander kommunizieren, werde das Persönlichkeitsrecht durch eine ständige Videoüberwachung erheblich beeinträchtigt. Daher müsse das Interesse des Betreibers an Beweissicherung und Prävention von Delikten zurücktreten. Allenfalls im Kassenbereich – so die Richter – sei eine Überwachung als verhältnismäßig und daher hinnehmbar einzustufen.

Überwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz

In einer ähnlichen Konstellation hatte das Bundesarbeitsgericht über die Videoüberwachung zu urteilen. Dort hatte der Arbeitgeber die Belegschaft eines Briefzentrums verdachtsunabhängig überwacht. Die Kontrolle war so ausgestaltet, dass die Videoanlage wöchentlich bis zu 50 Stunden eingesetzt wurde. Dabei war es für die Arbeitnehmer nicht erkennbar, wann sich die Anlage in Betrieb befand. Das BAG entschied in seinem Beschluss vom 29. Juni 2004 (Az. 1 ABR 21/03) auf Antrag des Betriebsrats, dass eine dauerhafte, verdachtsunabhängige Videoüberwachung der Belegschaft unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sei.

Überwachung von Bibliotheken

Dass in Bibliotheken hin und wieder Bücher und Einzelausgaben verschwinden, ist nicht nur in studentischen Kreisen bekannt. Der wirtschaftliche Schaden, der aus der dauernden Neuanschaffung von Werken entsteht, drückt zunehmend auf die Haushalte der Gemeinden und Bundesländer. Die zur Abschreckung eingesetzte Videoüberwachung könnte tatsächlich ein geeignetes Mittel zur Abhilfe sein, dachte sich eine Stadt in Nordrhein-Westfalen, und setzte Anfang 2006 Videokameras zur Überwachung des Ausleihbereichs ein. Das Oberverwaltungsgericht NRW entschied auf Klage, dass die beklagte Stadt zwar durch das Datenschutzrecht befugt sei, ihre Bibliothek überwachen zu lassen. Sie dürfe jedoch die erhobenen Daten nicht anlasslos und generell speichern, da hierdurch auch gänzlich rechtstreue und arglose Personen in ihren Rechten verletzt würden.

Fazit

Neben der Polizei scheint sich also auch eine breite Bevölkerungsschicht nahezu täglich mit dem Thema Videoüberwachung zu beschäftigen. Die dabei verfolgten Ziele mögen teils wirtschaftlicher, teils sicherheitspolitischer Natur sein. Immer dann, wenn erhebliche Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 GG erkennbar sind, neigen die Gerichte (bislang) zu restriktiver und überwachungsfeindlicher Rechtsprechung.

Eine Wende hin zum tatsächlichen Überwachungsstaat könnte jedoch dann gesellschaftsfähig werden, wenn das Sicherheitsbedürfnis nur noch mittels Kameraüberwachung gedeckt werden kann. Ist doch immer wieder Folgendes zu beobachten: je mehr Unsicherheit in der Bevölkerung allgemein existiert, umso extensiver werden Vorschriften zur Gefahrenabwehr ausgelegt. Im Gegenzug verliert das Persönlichkeitsrecht immer mehr an Gewicht.

(RA Alessandro Foderà-Pierangeli)

Der Autor ist Rechtsanwalt in Mainz mit Tätigkeitsschwerpunkt im Medienrecht – www.anwalt-fuer-medienrecht.de