Foto Robert Häusser: J.R. 5-9-70, 1970Seine Schwarz-Weiß-Fotografien sind von magischer, unheimlicher Anmutung: Heute wird Robert Häusser, ein Wegbereiter der zeitgenössischen Fotografie, 85 Jahre alt. Eine Laudatio:

 
 
 

Foto Robert Häusser: Bank im Regen, 1942

Robert Häusser: Bank im Regen, 1942

 
Robert Häusser, vor 85 Jahren am 8. November 1924 in Stuttgart geboren, ist einer der ungewöhnlichsten deutschen Lichtbildner. Seit 1940 fotografiert er. Anfangs düstere, karge, einsame Bilder eines Jugendlichen, dessen Familie isoliert ist. Zwei Jahre war der Vater im Konzentrationslager Dachau. „Wir waren aus der Volksgemeinschaft ausgeschieden“, erinnert sich der Fotograf.

Es folgen ein Volontariat in Stuttgart als Pressefotograf, danach eine Lehre in einem Fotobetrieb. 1949, nach Krieg und Gefangenschaft, beginnt Häusser ein Studium an der Schule für angewandte Kunst in Weimar bei Heinrich Freytag und Walter Hege. Seit den frühen 1950er Jahren macht er erste eigene Ausstellungen. Nach der Flucht aus der DDR nach Mannheim im Jahr 1952 bildet sich der persönliche fotografische Stil Häussers immer profilierter heraus: Der starke Schwarz-Weiß-Kontrast bestimmt seine Bildfindungen seitdem, die oft „subjektiv“ genannt worden sind. Nicht die Realität will Häusser darstellen, wie er einmal gesagt hat: „Mich interessiert die Interpretation der Realität.“ Immer fotografiert er das tatsächlich Vorgefundene, nichts ist inszeniert, doch seine Kontraste steigert er ins Extreme, lässt vieles, was in der Wirklichkeit da ist, im fotografischen Bild verschwinden – und anderes umso deutlich hervortreten.
 

Foto Robert Häusser: Tuilerien, 1953

Robert Häusser: Tuilerien, 1953
 
 
Foto Robert Häusser: Weinberg, 1955

Robert Häusser: Weinberg, 1955
 
 
Foto Robert Häusser: Mes amis d'Elzière, 1966

Robert Häusser: Mes amis d’Elzière, 1966

 
Abgesehen von seinen Porträtaufnahmen findet man kaum einmal Menschen in seinen Bildern, doch warum auch? Stets gelingt es ihm, jenes „Mehr an Wirklichkeit“ zum Ausdruck zu bringen, nach dem er immer gesucht hat. Häusser hat einige Nachfolger gefunden, wie etwa den ebenfalls aus Mannheim stammenden Peter Schlör, doch bleibt er dennoch in der deutschen Fotoszene singulär. Nur wenige Fotografen haben es jemals vermocht, den Alltag – das, was uns umgibt, Zäune, Markierungslinien etwa – auf eine so magisch-suggestive, aber auch so streng-symetrische Art zu fotografieren. „Die kleinen stillen Dinge zogen mich an“ sagt Häusser heute.

Bis zum 25. April 2010 zeigt das Forum Internationale Photographie der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim die Ausstellung „Robert Häusser. Die Berliner Mauer. Fotografien und Zitate“ : eine Schau, die Bilder aus der Zeit des Mauerbaus vereinigt. Der Zyklus macht auf eine für Häusser sehr typische Weise nicht das Vordergründige sichtbar, sondern geht darüber weit hinaus: Er bietet eine innere Sicht auf die Dinge – auf die Brutalität und Paradoxie dieser Grenzbefestigung.
 

Foto Robert Häusser: J.R. 5-9-70, 1970

Robert Häusser: J.R. 5-9-70, 1970
 
 
7. Februar 1984; © Robert Häusser

Robert Häusser: Moortagebuch, 7. Februar 1984
 
 
Foto Robert Häusser: Das Haus des Richters, 1998

Robert Häusser: Das Haus des Richters, 1998

 
Geduld zu haben, ist eine wichtige Voraussetzung für das Entstehen guter Bilder. Häusser, so hat Claude W. Sui einmal geschrieben, horche in sich selbst, wenn er fotografiere. Gute Bilder macht man nicht im Vorübergehen. Doch mit der Zeit kommt manchmal mehr noch als ein gutes Bild: „Es ist nur ein kleines Stückchen Landschaft, still und verschlossen“, schreibt Häuser am 24. Februar 1984, am letzten Tag des Aufenthalts in Nordhorn, wo sein fotografisches „Moortagebuch“ entstand. „Sie öffnet sich, wenn ich ihr aufgeschlossen und einfühlsam begegne. Dann weiß ich mehr. Dann habe ich manche Erkenntnis gewonnen. Auch für mein Leben.“

Robert Häusser wurde mit einigen der bedeutendsten Auszeichnungen, wie etwa dem „Internationalen Preis für Fotografie” der Hasselblad Foundation nd dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeichnet. Seine Werke befinden sich unter anderem in der Sammlung des New Yorker MoMA: ein Klassiker der Fotografie des 20. Jahrhunderts, ein Wegbereiter, dessen Werk sich stets um die selben Themen dreht: die Einsamkeit des Menschen, seine Verlorenheit in der Welt, den Tod schließlich. Robert Häusser fotografiert heute nicht mehr – aber er ordnet und sichtet seinen Nachlass: 64.000 Arbeiten, die er dem Mannheimer Forum Internationale Photographie vermacht hat.

(Marc Peschke)
 
 

Foto Robert Häusser: Selbst, 1981

Robert Häusser: Selbst, 1981

 
Kurzbiografie

1924 – in Stuttgart geboren.
1936 – Die Familie leidet unter der Verfolgung der Nationalsozialisten. Der Vater kommt in das KZ Dachau.
1940-41 – Volontärzeit als Pressefotograf in Stuttgart. Es entstehen die ersten in das Oeuvre aufgenommenen Arbeiten, die „Frühen Bilder“.
1941-42 – Ausbildung als Fotograf. Weitere Arbeiten der „Frühen Bilder“.
1942-46 – Kriegsdienst und Gefangenschaft.
1946-52 – Arbeit als Bauer mit seiner Familie auf dem elterlichen Hof in der Mark Brandenburg, sowjetische Besatzungszone. Dort entstehen Bilder aus der bäuerlichen Welt und von Baudenkmälern.
1949 – Studium an der Kunstschule Weimar.
1950-52 – Ständige Teilnahme an Ausstellungen und Wettbewerben westeuropäischer Länder. Erste Preise und Auszeichnungen.
1950 – Einladung durch L. Fritz Gruber zur ersten „photokina“, Köln. Berufung als ordentliches Mitglied in die „Gesellschaft Deutscher Lichtbildner“
1952 – Aufgrund der politischen Situation in der DDR und der zunehmend erschwerten Kontakte zum Ausland, Aufgabe des Hofes und Flucht nach Westdeutschland. Aufbau einer neuen Existenz in Mannheim.
ab 1953 – Zahlreiche Auftragsreisen für Verlage und Industrieunternehmen in viele Länder Europas, Südamerikas, USA und Ostasien.
1957 – Neubau eines Studios für Fotografie in Mannheim.
1960 – Berufung in die „Deutsche Gesellschaft für Photographie DGPH“.
1972 – Aufgabe des Studios für kommerzielle Fotografie zugunsten freier künstlerischer Arbeit. Bühnenbild für das Nationaltheater Mannheim und die Luzerner Festwochen, „So eine Liebe“ von Pavel Kohut, Uraufführung, Inszenierung Michael Hampe.
1989 – Ernennung zum Professor h. c.
2004-05 – 100. Einzelausstellung zum 80. Geburtstag Robert Häussers – „Aus dem photographischen Werk 1938-2004“ in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim. Kurator Claude W. Sui.

Seit 1959 über 100 Einzelausstellungen in Museen und Galerien des In- und Auslandes
Mitglied des Deutschen Künstlerbundes und der Darmstädter Sezession

Ausstellung:

Robert Häusser: Die Berliner Mauer. Fotografien und Zitate
Bis 25. April 2010
Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim
Zeughaus C5
68159 Mannheim
Telefon 0621 / 293 31 50
Dienstag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr

Buchempfehlungen:

Robert Häusser
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EUR 29,90

Foto

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Text von Dr. Claude W. Sui und Günter Kunert
Gebunden. 64 Seiten
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ISBN 978-3-89466-305-6
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Claude W. Sui und Alfried Wieczorek (Hrsg.)
Ins Wort gesetzt – Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser
Edition Braus, 2007
108 Seiten, 40 ganzseitige Abbildungen
ISBN 978-3-89904-257-3