Foto: Gisèle FreundIn Bremen ist derzeit, und noch bis Oktober 2009, eine Auswahl von rund 140 Aufnahmen von Gisèle Freund, einer der herausragenden Porträt- und Reportagefotografinnen des 20. Jahrhunderts, zu sehen:

Das Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, informiert:
 

Foto: Gisèle Freund

Demonstration am 1. Mai, Frankfurt am Main, 1932
Sammlung Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxembourg

 
Gisèle Freund – Porträts und Reportagen

13. Juni bis 4. Oktober 2009

Zum ersten Mal wird in Bremen eine Auswahl von rund 140, zum Teil handsignierte Aufnahmen einer der herausragenden Porträt- und Reportagefotografinnen des 20. Jahrhunderts präsentiert.

Gisèle Freund (1908- 2000)  wurde als Fotoreporterin für die Zeitschriften Life, Time Magazin, Picture Post und für die Agentur Magnum berühmt, machte sich als Porträtistin der internationalen Literatur-Avantgarde von Paris sowie als Theoretikerin der Fotografie einen Namen. Bereits 1938 fotografierte sie mit dem gerade erst auf den Markt gekommenen und noch sehr teuren Farbfilm. Ein eindrucksvolles Farbporträt von James Joyce erschien 1939 auf der Titelseite des Time Magazin.

Foto: Gisèle Freund  Foto: Gisèle Freund

James Joyce mit Lupe, Paris 1939 – Virginia Woolf in ihrem Haus in London, 1939
Sammlung Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxembourg

 
Ihre einfühlsamen Porträts sind Momentaufnahmen großer Intensität und keine gestellten, repräsentativen Posen. Die Aufnahmen entstanden fast beiläufig, während sich die literaturbegeisterte und belesene Gisèle Freund mit den Schriftstellern über deren Werke unterhielt. So hatten diese die Kamera vergessen und gaben sich ganz natürlich. Entstanden sind einzigartige Porträts von Bertolt Brecht, Anna Seghers, Alexej Tolstoi, Simone de Beauvoir, Walter Benjamin, Hermann Hesse, Virginia Woolf, Stefan Zweig und vielen anderen, die ab Mitte Juni im Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zu sehen sein werden.

Gisèle Freund stammte aus einer wohlhabenden und kunstsinnigen jüdischen Familie in Berlin. Mit der als Geschenk zum Abitur erhaltenen Leica begann die Autodidaktin an ihrem Studienort Frankfurt zu fotografieren. Politisch engagiert dokumentierte sie die Demonstrationen zum 1. Mai 1932. In der Ausstellung werden auch Aufnahmen aus diesem frühen Bilderzyklus gezeigt.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gelang Gisèle Freund 1933 gerade noch die Flucht nach Paris. Dort konnte sie 1935 ihr in Frankfurt bei Theodor W. Adorno, Karl Mannheim und Norbert Elias begonnenes Studium mit einer Dissertation zur Sozialgeschichte der Fotografie beenden. Diese soziologische Studie erschien erst Ende der 1960er Jahre in deutscher Sprache und wurde ein Klassiker, der noch heute Kultstatus genießt.

In Paris musste die Emigrantin nun auch zum Broterwerb fotografieren, da ihre ebenfalls aus Deutschland geflohenen Eltern sie nicht mehr finanziell unterstützen konnten. Eindrucksvoll sind ihre Aufnahmen vom „1. Internationalen Schriftsteller-Kongress zur Verteidigung der Kultur“, der im Juni 1935 in Paris stattfand. Berühmt wurde sie auch durch ihre Reportagen aus Südamerika, wohin sie 1940 erneut vor den Nationalsozialisten geflüchtet war. Ihre enthüllenden Fotos über das luxuriöse Privatleben Evita Peròns lösten 1950 diplomatische Verwicklungen zwischen Argentinien und den USA aus. Von ergreifender Authentizität sind ihre Aufnahmen von Frida Kahlo, zu der sie eine freundschaftliche Beziehung pflegte. Wie viele andere Emigranten kehrte sie nicht nach Deutschland zurück und lebte seit den 1950er Jahren in Paris.
 

Foto: Gisèle Freund

Frida Kahlo und ihr Arzt, Mexico-City 1951
Sammlung Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxembourg

 
Gisèle Freund führte genauestens Buch über ihre Aufnahmen, u. a. notierte sie Ort und Zeitpunkt sowie den Namen der Porträtierten. Mit diesen Gedächtnisstützen war es ihr später noch möglich, viele interessante Anekdoten zu den Bildern zu erzählen. Diese Erinnerungen werden ihre Aufnahmen auch in der Ausstellung begleiten und sie zu einem einzigartigen Bild-Tagebuch aus der über 60 Jahre erstreckenden Tätigkeit einer Weltreisenden machen.

Foto: Gisèle Freund

Ein Filminterview und Bilder aus ihrem persönlichen Umfeld tragen in der Ausstellung dazu bei, neben ihrem fotografischen Lebenswerk auch noch andere Facetten der Grande Dame der Fotografie kennen zu lernen.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Sammlerin Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxemburg.

Katalog:
Gisèle Freund. Photographien und Erinnerungen mit autobiographischen Texten und einem Vorwort von Christian Caujolle. 224 Seiten, 205 Farb- und Duotone-Tafeln, Schirmer/Mosel. Wiederauflage München 2008.

 
 
Siehe auch: Focke-Museum, Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
 
 
Rechts:
Selbstporträt Gisèle Freund, 1950
Sammlung Dr. Marita Ruiter, Galerie Clairefontaine, Luxembourg

 
 
(thoMas)