Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Warriors“Der Frankfurter Fotokünstler Gosbert Gottmann über „struggle for fun“, den unerbittlichen Kampf um den besten Spaß, über eine neue Welt, der es am tieferen Sinn fehlt

Gosbert Gottmann hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit ungewöhnlichen Serien auf sich aufmerksam gemacht. Oft generiert er seine fotografischen Arbeiten aus Filmstills. Wir sprachen mit ihm:

photoscala: Lieber Gosbert Gottmann, Sie arbeiten stets in fotografischen Serien, die sich auch deutlich voneinander trennen lassen. Wann wissen Sie eigentlich, dass eine Serie nun vollendet ist?

Aus der Serie down-town; Foto Gosbert Gottmann

Gosbert Gottmann: Die Serien sind ineinander verwoben. Da ist kein endgültiges Ende, nur oberflächlich ist ein scheinbares Ende. Die Basisthemen sind im Grunde unverändert. Sie variieren über die Zeit mit der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung.

photoscala: Ihre erste große Serie hieß „down-town“. Hier zeigten Sie – noch in klassischem Schwarzweiß – Großstadtarchitektur. Metallisch-harte Hochhausfassaden, schwarze Unterführungen, Parkhäuser wie Hochsicherheitstrakte, Gepäckaufbewahrungsfächer. Unorte dieser Zeit. Ein Alptraum, der Realität geworden ist?

Gosbert Gottmann: Kein Alptraum, aber Realität. Die Serie „down-town“ ist aber keine Architekturserie – die Architektur und die Unorte bilden vielmehr eine Kulisse, wie auch später in „modern sufferings“. Kulisse, für ein Theaterstück, in dessen Inszenierung die Menschen als Hauptdarsteller zum Einsatz kommen. Meine Aufmerksamkeit gilt den Menschen in der gesellschaftlichen Entwicklung. Was mich aber in diesem Zusammenhang nicht überrascht ist, dass sich die Großstadtarchitektur heute rasant der Medienarchitektur unserer Zerstreuungs-Gesellschaft anpasst.

photoscala: Seit 2004 entwickelten Sie Ihre Serie „Stop Here“ über die Formel 1 – bearbeitete Fernsehbilder, die einmal als „Traumfragmente“ bezeichnet worden sind. Geisterhafte Figuren sind zu sehen, flirrende, bedrohlich anmutende Farben – erreicht durch die Bearbeitung der Bilder am Computer. Ihre Figuren wirken kaum mehr menschlich, sondern beinahe wie martialisch gerüstete Außerirdische. Warum diese Art der Verfremdung? Hat die Formel 1 etwas derart Bedrohliches?
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Stop Here“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Stop Here“

 
Gosbert Gottmann: Nicht die Formel 1 an sich, es geht gar nicht um die Formel 1, aber: Die Formel 1 ist der weltweit umfassendste „Zirkus“, den es neben den Olympischen Spielen gibt, sozusagen der Circus Maximus. Milliarden von Menschen werden in eine Parallelwelt, in eine kindliche „dream world“ gedrängt. Dopamin fürs Volk. Bei „Stop Here“ geht es mir primär um die möglichen Folgen dieses Vorgangs für die Mitglieder der Gesellschaft.

photoscala: Stets scheint es, als offenbare sich in Ihren Bildern etwas, was tatsächlich da ist, aber erst von Ihnen entdeckt wurde. Ein Geheimnis, mehr noch, ein Grauen hinter den Dingen.

Gosbert Gottmann: Das mit dem Grauen haben Sie schön formuliert. Aber das Grauen hat auch einen Namen. Es sind die unzähligen in den Medien zur Verfügung gestellten Beiträge, die dem Grundprinzip „struggle for fun“ gewidmet sind.

photoscala: Was meinen Sie damit?

Gosbert Gottmann: Den unerbittlichen Kampf um den besten Spaß, sowohl im Angebot als auch in der Nachfrage. Spaß wird zum Überlebensgen. Wer es nicht hat, wird ausgegrenzt.
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Stop Here“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Stop Here“

 
photoscala: Lassen Sie uns etwas über Ihren ungewöhnlichen Lebenslauf sprechen. Sie haben sich nach Studienabschluss als Manager beziehungsweise unternehmerisch beschäftigt. Parallel haben Sie aber immer an Ihrer künstlerischen Karriere gearbeitet. Wie ging das zusammen?

Gosbert Gottmann: Mir ist zunächst wichtig, zu betonen, dass sich das nicht gegenseitig ausschließt, im Gegenteil. Dennoch sitzt man zwischen den Stühlen. Es gibt nicht wenige Vertreter der Managerseite, die eine engagierte Künstleraktivität neben dem Gelderwerb für ein No-Go, für spinnerisch halten. Die haben natürlich keine Ahnung von dem, was diese Menschen bewegt und wo die Gemeinsamkeiten verborgen sind. Authentisches Management und Entrepreneurship sind sehr innovative, kreative Angelegenheiten, die ununterbrochen Entscheidungsnotwendigkeiten mit sich bringen. In seiner Grundstruktur ist dies der künstlerischen Arbeit recht ähnlich. Es gibt aber auch nicht wenige Vertreter auf der Kunstseite, inklusive der Sammler, die mit der Doppelrolle ein Problem haben – zumeist unterstellend, dass ohne Abschluss an einer Kunsthochschule und ohne berühmte Professoren ein marktgerechtes Arbeiten nicht möglich ist.

photoscala: Oft arbeiten Sie mit Filmstills. Kann man sagen, dass Ihre Bilder im Grenzbereich von Fotografie und Film liegen?

Gosbert Gottmann: Das kann ich bejahen. Ich mache Bilder, so wie ich sie sehe. Nicht so, wie sie sind. In diesem Sinne benutze ich reichlich „pieces“, analoge oder digitale Bilder, selbst gedrehte Videostreifen, TV-Stills, Zeitschriften, Zeitungen, die im weiteren Bearbeitungsprozess den von mir intendierten Bedeutungen zugeführt werden. Um den Gesamtausdruck zu verstärken, verwende ich dabei gerne Serien, die den Charakter von Storyboards haben.
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Marathon People“  Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Marathon People“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Marathon People“

 
photoscala: Eine andere Serie heißt „Marathon People“. Hier zeigen Sie mit Blitzlicht fotografierte Langstreckenläufer auf vollkommen neuartige, radikale Weise: Ihren Gesichtern scheint Leid und Angst eingeschrieben…

Gosbert Gottmann: … sehr authentische Momente! Die „Marathon People“ sind für mich Repräsentanten der Menschen, die in ihre Parallelwelt, ihre „dream world“ abtauchen und als Gegenleistung zur entgrenzten Freude das Leid ertragen, das dieses Geschehen mit sich bringt. Es ist schon eine bemerkenswerte gesellschaftliche Entwicklung, dass seit Beginn der 90er Jahre die Anzahl der Menschen, die an Stadtmarathonläufen und anderen „Laufevents“ teilnehmen geradezu explodiert ist – und man kann sich schon die Frage nach dem Warum stellen. Oft meinen die Teilnehmer, damit ihr „eigenes Ding“ zu machen. Unterstellt, dies träfe zu, könnte man einen sehr starken Willen vermuten, sich den alltäglichen, offensichtlich sehr bedrängenden Lebensumständen entziehen zu müssen.

photoscala: Ein wichtiger Begriff in Ihrem Werk ist jener der Deformation. In Ihrer 2001 entstandenen, auch als Buch erschienenen Serie „modern sufferings“ zeigen Sie deformierte Körper und Gesichter: Leidende in der Großstadt, von einer unsichtbaren Macht Getriebene. Bilder, die ebenfalls aus selbst aufgenommenen Videostills generiert werden. Hat es Sie schon einmal gereizt, einen Film zu drehen?

Gosbert Gottmann: Diese Frage müssten Sie differenzierter formulieren!

photoscala: Ich meine, ob es Sie reizen könnte, das Prinzip der „pieces“ in die Länge zu ziehen – Ihre Inhalte etwa als Video-Loop zu präsentieren?

Gosbert Gottmann: Es gibt ein Video von 2005, in dem ich das Thema aufgreife.
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Warriors“
 
 
Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Warriors“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Warriors“

 
photoscala: Eine andere Serie aus dem Jahr 2004, die ebenfalls als Buch erschienen ist, nannten Sie „Warriors“. In dieser zeigen Sie aus Fernsehbildern isolierte, digital verfremdete Soldaten verschiedener Kriege. „In blauen Farbtönen aufgelöst, zeigen sie Krieg als abstraktes Phänomen zwischen Technikfaszination und trainierter soldatischer Pose“, schreibt Vanessa Joan Müller in ihrem Vorwort. In Ihren Bildern steckt immer medienkritisches Potential. Beherrschen uns die Medienbilder?

Gosbert Gottmann: Nicht im unmittelbaren Sinne. Aber auf eine sehr subtile Art und Weise verändern sie unsere Gesellschaft. Huxley hat in „Schöne neue Welt“ zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen dadurch kontrolliert werden, dass man ihnen Vergnügen zufügt. 1985 ist dieser Gedanke von Neil Postman mit „Wir amüsieren und zu Tode“ weiter vertieft worden. Das war noch vor der großen WWW-Welt. Von da an sind wir vom Golf in einen Formel 1-Boliden umgestiegen. Der Drift von der Tagesschau zur Tageshow wurde rasanter.

Das beschert uns reichlich Glücksgefühle, führt ungebremst aber auch zu einem Verlust an sinnstiftenden, emphatischen Fähigkeiten. Sicher haben Sie sich schon mal gefragt, warum die alternde Gesellschaft weitestgehend immer noch ein Tabu ist und weshalb Politiker auf der operativen Ebene wenig oder nicht dafür sorgen, dass wir auf die alternde Gesellschaft vorbereitet werden.

Die Hirnforscherin Susan Greenfield hat diese Problematik kürzlich in einem FAZ-Interview auf den Punkt gebracht. Sie führte aus, dass wir Erwachsene bisweilen in eine Art „Kind-Modus“ fallen würden, in dem wir großartige, sehr gefühlsbetonte Zeiten erleben würden. Das ist nicht außergewöhnlich. Neu aber ist wohl die Intensität und Häufigkeit, mit der wir in diesem Modus sind. Denn in der zweidimensionalen Welt ist es jederzeit möglich, das Gehirn in den kindlichen Modus zu versetzten. Dort lebt man im Moment, erlebt starke Emotionen, findet den Thrill. Das führt zur Ausschüttung bestimmter Stoffe im Gehirn. Die Rationalität bleibt dabei auf der Strecke. Greenfield ist der Meinung, dass die Menschen damit zwar intelligenter, aber auch rücksichtsloser werden und über weniger Empathie verfügen. Das sei dann eine ganz andere Welt, der es am tieferen Sinn fehle.
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Viewer“  Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Viewer“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Viewer“

 
photoscala: Lassen Sie uns noch über zwei Ihrer neuesten Serien sprechen. 2006 entstanden die „Viewer“, eine Porträtserie von leuchtend heller Farbigkeit. Was sehen wir? Sind das Fernsehzuschauer?

Gosbert Gottmann: Es sind Portraits von Menschen, die im Übermaß an den „Medien-Event-Zauber“ geglaubt haben.

photoscala: Seit 2007 arbeiten Sie an der Serie „Good Old Germany“. Schriftbilder mit Begriffen wie „Superstar“, „Casting Camp“ oder „Topmodel“. Sie isolieren diese Begriffe mit einer seltsam irritierenden Schrift vor schwarzem Hintergrund. Warum?
 

Foto Gosbert Gottmann; aus der Serie „Good Old Germany“

Gosbert Gottmann; aus der Serie „Good Old Germany“

 
Gosbert Gottmann: Die Bildtafeln wollen Kontrapunkt zum medienüberfluteten Universum sein. Die Schrift ist Ausdruck von Kontrollverlust angesichts des eigenen Endes. Sie soll die Oberflächlichkeit der inzwischen alltäglich gewordenen Begriffe dechiffrieren.

photoscala: Ihr Blick auf die Gegenwart ist düster. Gibt es Hoffnung?

Gosbert Gottmann: Der Blick ist eher nachdenklich prüfend, gemischt mit einer Idee, wie es auch enden könnte. Es gibt Kräfte, mit denen gegengesteuert werden kann. Angelpunkt sind dabei unsere Bildungssysteme. Wir müssen uns fragen, was zu lernen ist. Wir können unsere Freiheitsgrade durch zunehmende Entscheidungsfähigkeit erweitern.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
Kontakt
L. A. Galerie
Frankfurt am Main
Telefon 069-28 86 87

Buch
„Marathon People“ erscheint in Zusammenarbeit mit Hans-Michael Koetzle und Horst Moser im Juni 2009.