Michael Ruetz‘ Schwarzweißfotografien erzählen viel von der Dynamik jener Jahre, sind dennoch von großer Zeitlosigkeit und zudem sehr präzise Zeugnisse einer Arbeit am fotografischen Bild:

Viel ist geschrieben, viele Filme sind gedreht worden – viele Bücher sind erschienen – zum Jubiläum des Jahres: 40 Jahre 1968. Michael Ruetz, Jahrgang 1940, Zeitzeuge und Fotograf, fügt dem Bücherberg noch ein weiteres hinzu: „Die unbequeme Zeit“, so der Titel eines im Steidl-Verlag erschienenen Bandes.

„Die unbequeme Zeit“ ist ein Buch, das vor allem Menschen zeigt. Menschen bei Demonstrationen, bei Versammlungen, in der politischen Auseinandersetzung: Menschen, die sich nicht mit den Zuständen arrangieren, sondern etwas verändern wollen. Studentenbewegung, außerparlamentarische Opposition, das ist das Umfeld, aus dem der Fotograf stammt. Seine Sympathie gehört den Gezeigten, das ist deutlich.
 

Foto Michael Ruetz

 
Doch sind die in dem (wie immer bei Steidl außerordentlich gestalteten und gedruckten) Band vorgestellten Bilder vor allem auch sehr präzise Zeugnisse einer Arbeit am fotografischen Bild. Kaum etwas wird dem Zufall überlassen, die genauen Kompositionen zeugen davon. In Guinea-Bissau hat5 Ruetz fotografiert, im Jahr der Unabhängigkeit, im Konzentrationslager Auschwitz, in der DDR, beim Prager Frühling, in Italien, Angola, Chile, Portugal, Peru oder im Griechenland der Militärdiktatur. „1968 war eine Stimmung und ein Seelenklima, ein Hochgefühl wie eine Depression“, so Ruetz selbst über die „unbequeme Zeit“.
 

Foto Michael Ruetz

 
Der Berliner fotografierte Rudi Dutschke, Herbert Marcuse und Joseph Beuys, Rainer Langhans und Gudrun Ensslin. Er fotografierte bei Anti-Springer-Demonstrationen, bei Kundgebungen gegen den Vietnamkrieg. Entstanden sind Bilder von Demonstranten und Polizisten, Schwarzweißfotografien von großer Zeitlosigkeit, die dennoch viel von der Dynamik jener Jahre erzählen. Diese Bilder – wir spüren es beim Betrachten – sprechen von einer vergangenen Epoche – und dennoch von etwas, was in die Gegenwart und auch in die Zukunft reicht: Sie illustrieren den universellen Wunsch des Menschen nach einer Verbesserung seiner Lebensumstände – den Wunsch nach Gerechtigkeit. Natürlich geht es um Hoffnungen in diesem Buch. Um Utopien, Realitätsverlust und um Enttäuschungen.

Heute macht Michael Ruetz übrigens ganz andere Bilder. Vor allem die Landschaftsfotografie ist sein Terrain geworden. Für die zeitgenössische Reportage-Fotografie hat er wenig übrig: „Hunde pinkeln noch länger einen Baum an, als heute eine Fotografie gemacht wird“, so der Fotograf.

Titelabbildung Ruetz - Die unbequeme Zeit

(Marc Peschke)
 
 
Michael Ruetz
Die unbequeme Zeit – Das Jahrzehnt um 1968 (bei amazon.de)
Mit Texten von Michael Ruetz und Rolf Sachsse
Gebunden. 224 Seiten. 120 Abbildungen
Steidl Verlag. Göttingen 2008
ISBN 978-3-86521-668-7
40 Euro