In der Sache Agfa-Gevaert gegen (ehemalige) Mitarbeiter hat das Unternehmen in letzter Instanz eine entscheidende Niederlage erlitten. Die AgfaPhoto-Pleite ist demnach neu zu bewerten; die Konzernmutter Agfa-Gevaert wurde zu der Erkenntnis verurteilt, dass sie nach wie vor für AgfaPhoto-Mitarbeiter verantwortlich ist:

„Wo nichts anläuft, läuft auch nichts ab.“ Diesen Satz eines Anwalts zitierte Richter Friedrich Hauck am Gründonnerstag (20.3.2008) nicht ohne Grund. Aber das sollte sich erst zwei Stunden später erweisen.

Gemeint war die einmonatige Frist, in der ein Arbeitnehmer einem Betriebsübergang widersprechen kann. Vorausgesetzt, der Besitzerwechsel eines Unternehmens geht mit rechten Dingen zu. Daran, dass dies beim Verkauf der Bildsparte von Agfa-Gevaert an den Investor Hartmut Emans der Fall war, darf nun umso mehr gezweifelt werden: Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt stellte fest, dass zumindest der Brief (siehe: „Ein irreführendes Schreiben“ weiter unten), mit dem Agfa-Gevaert die Mitarbeiter dazu drängte, in die neue AgfaPhoto zu wechseln, „fehlerhaft“ war.

Diese letztinstanzliche Feststellung ist von äußerster Brisanz. Sie besagt schlicht, dass hunderte von Agfarianern mit ihrer Auffassung richtig liegen: Sie wurden von der Agfa-Gevaert falsch über den Übergang zur AgfaPhoto informiert. Deshalb hatten sie ein Recht, lange nach Ablauf der Widerspruchsfrist Einspruch einzulegen. Denn wer falsch informiert wird, ist auch keiner Frist unterworfen.

„Dieses Urteil hat Signalwirkung für alle anderen Fälle“, sagte der Opladener Rechtsanwalt Harald Kaiser. Bundesarbeitsrichter Hauck sprach von einer „Weichenstellung“ und ging noch weiter. Er stellte die Grundsatzfrage: „Gibt es denn überhaupt einen Betriebsübergang?“ Und gab die Antwort darauf in der mündlichen Begründung seiner Urteile ausdrücklich nicht: „Das lassen wir dahingestellt.“

Es könnte also sein, dass die gesamte AgfaPhoto-Geschichte neu geschrieben werden muss, dass die Konzernmutter drei Jahre nach der Pleite und dreieinhalb Jahre nach dem Verkauf der Fotosparte zu der Erkenntnis verurteilt wird, dass sie noch immer für sämtliche Mitarbeiter von AgfaPhoto verantwortlich ist. Welche wirtschaftlichen Folgen das für den kränkelnden belgischen Konzern hat, ist gar nicht auszudenken. Die Prozesslawine mit – bis heute – allein 90 Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht könnte Agfa-Gevaert unter sich begraben. Dabei hat der Konzern diese Lawine selbst immer mächtiger werden lassen: Die Firma und ihre Rechtsbeistände – an vorderster Front Werner Mues – weigerten sich, die Urteile der Arbeitsrichter zur Kenntnis zu nehmen. Schon am 11. Januar 2006 hatte in Opladen Thomas Maercks das entschieden, was nun vom 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt voll inhaltlich bestätigt wurde.

Vor gut zwei Jahren war in erster Instanz über die Fälle Marlene John und Otto Klohk gerichtet worden. Beide hatten einen Frühruhestandsvertrag noch mit Agfa-Gevaert ausgehandelt. In dem war vereinbart, dass Agfa-Gevaert jeden Monat das Arbeitslosengeld der beiden heute 58-Jährigen aufstockt und zusätzliche Rentenleistungen erbringt. Im Fall des Ingenieurs Klohk ging es allein um rund 150 000 Euro Lohn aufstockung. Dazu komme „noch mal fast das gleiche bei der Rente“, sagte er.

Doch statt eines sorgenfreien Lebens gerieten John und Klohk in existenzielle Nöte: Sie sind inzwischen Hartz-IV-Empfänger, weil die Zahlungen von Agfa ausblieben. „Drei Jahre konnten wir nichts mehr machen“, beschrieb Klohks Frau Annegret jetzt die Nach-Pleitezeit: „Jahre, die uns fehlen.“ Der Grund: Mit dem Übergang zur AgfaPhoto hatte sich Agfa-Gevaert auch der Frühruheständler entledigt. Vertragspartner von John und Klohk war nun die AgfaPhoto. Und die zahlte nach der Insolvenz im Mai 2005 keinen Cent mehr.

Anwalt Harald Kaiser beurteilte dieses Vorgehen von Agfa-Gevaert am Donnerstag so: „Die wollten sich von dem sozialen Ballast befreien.“ Und das möglichst dezent. Denn in dem Überleitungsbrief war mit keiner Silbe erwähnt, dass nicht mehr der große, alte Konzern für die Frühruheständler aufkommt, sondern die kleine, neue AgfaPhoto. Wie schwach die in Wirklichkeit auf der Brust war, stellte sich sechs Monate nach ihrem Start heraus.

Dass sie fast drei Jahre kämpfen und bis vor das Bundesarbeitsgericht würde ziehen müssen, hätte sich Marlene John nie vorstellen können. „Zwischendurch gab es Hänger. Aber man darf sich nicht entmutigen lassen“, sagte sie, nachdem das Urteil verkündet und ihre Tränen getrocknet waren. „Und zum Glück habe ich eine Rechtsschutzversicherung.“ Ihre nächste Tat, wenn das Geld von Agfa-Gevaert auf dem Konto ist? „Ich zahle das Hartz IV zurück.“

Ein irreführendes Schreiben

Das Unterrichtungschreiben, mit dem Agfa-Gevaert seine Mitarbeiter im Herbst 2004 zum Wechsel zur AgfaPhoto drängte, umfasst für den Fall eines Widerspruchs unter anderem folgende Passagen:

„Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs CI (Consumer Imaging) auf AgfaPhoto GmbH Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei Agfa-Gevaert AG nicht mehr vorhanden sein wird und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses durch Agfa-Gevaert AG rechnen. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass (. . .) in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, weder gegenüber der Agfa-Gevaert AG, noch gegenüber der AgfaPhoto GmbH. Im Fall eines Widerspruchs müssen Sie also damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren. Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre Ansprüche auf Leistungen der Agentur für Arbeit in Frage gestellt. Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.

Wir danken Ihnen für Ihre bisherige Mitarbeit in der Agfa-Gevaert AG und wünschen Ihnen persönlich und beruflich alles Gute.“

Klage abgewiesen

Ein dritter Fall ging in Erfurt nicht gut für den Arbeitnehmer aus. Ihm hatte Agfa-Gevaert eine Abfindung in Höhe von 40 000 Euro versprochen. Auch dieses Geld floss wegen der Pleite von Agfa-Photo nicht, der Mann klagte, widersprach aber nicht nachträglich seinem Übergang zur Emans-Firma.

Enttäuscht äußerte sich sein Rechtsbeistand Harald Kaiser über die letztinstanzliche Beurteilung dieses Falles. Der Anwalt will die schriftliche Begründung aus Erfurt abwarten und die Sache noch einmal „eingehend analysieren“. Der Arbeitnehmer kann jetzt nur noch versuchen, aus der Insolvenzmasse der AgfaPhoto einen Teil seiner Abfindung zu erhalten.

(Thomas Käding / Kölner Stadt-Anzeiger)