Martin Roemers‘ Bildband „Trabant. Die letzten Tage der Produktion“ erzählt auf berührende Weise – und liefert darüberhinaus ein glänzendes Beispiel dafür, welche Kraft sozial-dokumentarische Fotografie noch heute haben kann:

Im April 1991 war es schließlich soweit: Der letzte Trabant verließ das Werk. Kurz danach wurden die VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau abgewickelt, die Belegschaften zerschlagen, eine Lebenswelt wurde Vergangenheit. Doch dieses Danach ist schon nicht mehr das Thema der faszinierenden Fotoreportage des 1962 geborenen niederländischen Fotografen Martin Roemers. Seine jetzt als Fotobuch im Wasmuth-Verlag veröffentlichte Serie „Trabant“ zeigt ausschließlich das Davor: Momente kurz vor der Stilllegung, die letzten Tage und Wochen im Betrieb, die Arbeiterinnen und Arbeiter im Werk.

Foto: Martin Roemers

Pathetisch könnte man sagen: Roemers ist es gelungen, einen Epilog auf eine mittlerweile verschwundene, sozialistische Industriekultur in Schwarzweißfotografien zu gießen. Die letzten Sekunden einer langen Geschichte seit Beginn der Autoproduktion für 50 Jahren, im Jahr 1957. Eine Geschichte, die heute Erinnerung ist. Das ist die eine Seite. Doch die zwischen 1990 und 1992 entstandene Fotoreportage ist nicht nur ein Rufer aus der Vergangenheit: Weil sie nicht die Produktionsbedingungen, sondern den Menschen selbst ins Zentrum rückt, gewinnt sie an Aktualität.

Foto: Martin Roemers

Roemers zeigt die Mitarbeiter auf verschiedenste Weise. Da gibt es klassische Porträts, auf denen die Fotografierten ihre Werkzeuge präsentieren, mit großer Selbstverständlichkeit, manche mit Stolz in die Kamera blicken. Montagearbeiter, Lackierer, Schweißer, die Pförtnerin, die Mitarbeiterin der Kantine, allesamt Nachfahren der „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander. Menschen, die im Zentrum der Gesellschaft stehen und fotografisch als deren Querschnitt erscheinen. Eine zweite Gruppe zeigt den Produktionszusammenhang: die Werkshallen, die Pausenräume, die Fließbänder, die Duroplast-Karosseriefertigung, das Teilelager, die Umkleideräume, die Fertigmontage. Bilder von Industrie-Räumen, die beseelt sind durch die Menschen, die hier arbeiten.

Auf den letzten Buchseiten zeigt der Fotograf das Ende der Sachsenring Automobilwerke: Ausgeschlachtete Trabants warten hier auf ihre Verschrottung. Ein Arbeiter kehrt den Hof, zerschlagene Fensterscheiben, Automobil-Leichen, die schon längst Anachronismus geworden sind. Die letzte Schwarzweißfotografie des Bandes ist in ihrer Symbolik schon zu offensichtlich: Im Vordergrund stehen zwei alte, ausgeweidete Trabants, im Hintergrund rollt ein Zug mit neuen VW Golfs, die Volkswagen schon seit 1991 in Zwickau montieren ließ.

Foto: Martin Roemers

Über drei Millionen Fahrzeuge der „Trabant“-Baureihe wurden in der DDR produziert. Heute fahren etwa noch 50 000, von den Besitzern gehegt und gepflegt: ein minimalistisches Zweizylinder-Auto mit einer Haut aus Duroplast, das seit den 50er Jahren in technischer Hinsicht nur marginal weiterentwickelt wurde. Auch die letzte Baureihe, der 1990 bis 1991 produzierte Trabant 1.1., eine Version mit nachgebautem VW-Polo-Viertaktmotor, konnte den Niedergang des ostdeutschen Volks-Autos nicht aufhalten: Am 30. April 1991 endete die Trabant-Produktion. Bald säumten Trabant-Wracks ostdeutsche Straßen.

Doch der Ruf nach einem neuen Trabant wird immer lauter. Jüngst stellte die fränkische Modellbaufirma Herpa auf der IAA ein Modell des „newTrabi“ vor, das in den kommenden zwei Jahren marktreif sein soll. Die technische Basis, so Herpa, soll BMW liefern. Der Entwurf jedenfalls, der die Bulligkeit des Chrysler 300 Touring zitiert und diese mit dem 50er-Jahre-Charme des Original-Trabants verbindet, könnte Nostalgikern wie Design-Futuristen gleichermaßen gefallen.

Von solchen Ideen, ein neues „Retro-Car“ zu lancieren, war man 1991 noch weit entfernt, als der letzte Trabant das Werk verließ. Auf einer der Fotografien steht ein Arbeiter neben seinem Kollegen und sieht diesem beim Verschleifen von Schweißnähten zu. In seinem Blick ist Ruhe, Nachdenklichkeit, Melancholie und auch das Wissen, dass sich etwas verändern wird. Das Wissen um eine Gegenwart, die bald Vergangenheit ist.

Martin Roemers Bildband „Trabant. Die letzten Tage der Produktion“ erzählt auf berührende Weise davon – und liefert darüberhinaus ein glänzendes Beispiel dafür, welche Kraft sozial-dokumentarische Fotografie noch heute haben kann. Dass Roemers mit seiner einerseits an Sander, andererseits aber auch an den Vertretern der französischen Photographie humaniste geschulten Alltagsfotografie in Schwarzweiß heute beinahe alleine dasteht, macht sein OEuvre nur interessanter.

(Marc Peschke)

Katalog:

Martin Roemers
Trabant. Die letzten Tage der Produktion (bei amazon.de)
The Final Days of Production
Ernst Wasmuth Verlag Tübingen und Berlin 2007
Deutsch und englisch
84 Seiten mit 41 Duoton-Abbildungen; Format 22 x 24 cm; Hardcover
ISBN 978 3 8030 3324 6.
19,80 Euro

Ausstellungen:

„Arbeit und Alltag 1951-1992. Fotografien von Roger Melis, Martin Roemers und Walter Vogel“. Willy-Brandt-Haus. Stresemannstr. 28 Berlin-Kreuzberg. Bis 20.1.2008. Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr. Eintritt frei. Ausweis erforderlich

„50 Jahre Trabant – Konsumtraum und Alltagskultur“. August Horch Museum. Audistraße 7 Zwickau. Bis 30.6.2008. Dienstag bis Sonntag 9.30 bis 17 Uhr. Jeden 1. Donnerstag im Monat bis 21 Uhr. Eintritt 5 Euro.