So karg die mit einer Plattenkamera fotografierten Innenräume oft sind, so sind sie doch stets von großer Anmut. Im Mittelpunkt aber stehen die Menschen

Betrachtet man die Bilder in diesem Band, dann könnte man beinahe ein wenig Mitleid haben. Diese Menschen, die der niederländische Fotograf Bert Teunissen hier in ihren Wohnungen fotografiert hat, sie verbindet vor allem eines: Sie sind Europäer – und haben nicht viel: Sie haben keinen Computer, kein kabelloses Telefon und sie machen sich offenbar auch keine Gedanken darum, ob sie ihren alten Fernseher gegen einen Flachbildschirm austauschen sollten. Kurz: Die Entwicklungen des Lebens- und Wohnkomforts der letzten Dekaden sind ganz an ihnen vorbei gegangen.

Trotzdem leben diese Menschen womöglich besser (weil glücklicher) in ihren Häusern und Wohnungen als die meisten Durchschnittsbürger. Entfremdung scheint ihnen unbekannt zu sein. Bert Teunissen hat Menschen in Behausungen fotografiert, in Räumen, die alle über 100 Jahre alt sind. Alte Küchen, alte Wohnzimmer und alte Schlafzimmer, so unterschiedlich, wie die Menschen, die sie bewohnen. Doch eines gleicht sich stets: Menschen und Räume bilden untrennbare Einheiten.

Räume – manche sind gebaut, als es noch keine Elektrizität gab – und Menschen sind auf faszinierende Weise verwoben. Sie sind gleichermaßen Unikate, die man heute als skurril bestaunen mag, die aber authentisch in diesem Sinne sind: Sie sind einmalig. Oft wurden sie in den Räumen auch geboren, in denen sie nun, siebzig, achtzig oder neunzig Jahre später, abgelichtet werden. Der Fotograf selbst, dessen Interieurs gerne mit Gemälden alter Meister wie Vermeer verglichen werden, bezeichnet seine Innenräume als „Darstellung der inneren Merkmale der Personen“.

Der Fotograf begreift seine Arbeit als eine Möglichkeit, die Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten traditionellen Wohnens in Europa zumindest als Bild zu konservieren. Zumindest als Fotografie, denn in der Wirklichkeit haben diese Räume – einfache Bauernhäuser oft – keine Chance, zu überleben. Ihnen helfen keine Denkmalschutzbestimmungen, doch haben sie, so sagt Teunissen, die europäische Kultur entscheidend geprägt.

Der 1959 geborene Teunissen, der in Amsterdam lebt, fotografierte unter anderem in Holland, Portugal, Belgien, Deutschland, Spanien, Italien und Großbritannien. Das erste Bild der Serie war ein 1996 in Südfrankreich entdecktes Café mit offenem Kamin. Mittlerweile sind über 350 Arbeiten Teil der „Domestic Landscapes“ geworden – Interieurs, die allesamt ohne künstliches Licht auskommen.

Wir sehen offene Feuerstellen, Menschen, die um ein Feuer sitzen, alte Frauen, ganz in schwarz, an einem Ofen. Ganze Familien um einen Tisch versammelt, eine Weinkaraffe darauf und einige Gläser. Die Wände tragen bisweilen wenig Schmuck: Einige Familienfotos erzählen von Vergangenem. Von der Hochzeit etwa oder der Geburt eines Kindes. Bunte Wandkalender oder auch eine Uhr erinnern an die Gegenwart.

So karg die stets im leichten Panoramaformat mit einer Plattenkamera fotografierten Innenräume oft sind, so sind sie doch stets von großer Anmut. Im Mittelpunkt aber stehen die Menschen. Ältere Frauen und Männer, deren Blicke Ruhe und Würde ausstrahlen. Eine Generation, die zu verschwinden droht – und mit ihnen ihre Wohnungen und Häuser. Viele werden bald abgerissen sein, viele auf verhunzende Art modernisiert, banalisiert, globalisiert. Doch als Fotografie, das mag trösten, werden sie weiter existieren.

Ein trauriges, wunderschönes Fotobuch.

Buch:
Martin Hentschel (Hrsg.): Bert Teunissen
Domestic Landscapes. Ein Porträt von Europäern daheim (bei amazon.de)
Gebunden. 136 Seiten
Kerber Verlag, Bielefeld 2007
ISBN 3866780958
38 Euro

Ausstellung:
Museum Haus Esters: Bert Teunissen Domestic Landscapes
Wilhelmshofallee 91
47800 Krefeld
Telefon 0 21 51 – 97 55 80
Bis 10. Februar 2008
www.krefeld.de/kunstmuseen
Täglich 11-17 Uhr, Montag geschlossen

Obwohl offensichtlich, sei hier nochmals betont, dass die Bildwiedergabe im Internet bzw. via (mehr oder weniger gutem) Monitor die Feinheiten in Zeichnung und Farbe nicht im Entferntesten wiederzugeben vermag.

(Marc Peschke)