Sony, einerseits noch ziemlich neu im Geschäft mit digitalen Spiegelreflexkameras, kann andererseits auf Minoltas Erfahrung aufbauen. War die alpha 100 noch klar aus dem Minolta-Stall, darf man gespannt sein, wie Sony jetzt seine Technikkompetenzen einbringt:

Fast jede sechste verkaufte Digitalkamera kam 2006 aus dem Hause Sony. Vor allem mit den Kompaktkameras der Cyber-shot-Reihe hält der Elektronikgigant hohe Marktanteile, doch die deutlich lukrativeren Margen sind derzeit mit Spiegelreflexkameras und Zubehör zu erzielen. Momentan hat man nur eine im Programm, mittelfristig wohl zu wenig, um Canon und Nikon ernsthafte Sorgen zu bereiten. Aber Zuwachs für das „alpha-System“ steht noch in diesem Jahr in den Regalen der Händler, verspricht Sony. Zur IFA, auf der man „Highlights“ des alpha-Systems zeigen will, wird man die Hüllen wohl noch nicht fallen lassen, Sony lädt Anfang September zum Pressetermin, hat beispielsweise fotocentraal.nl ausgeplaudert.

Preislich dürfte Sonys neues Modell, nennen wir es alpha 300, etwa auf dem Niveau der neuen EOS 40D liegen und damit für viele Minolta-Nutzer die Nachfolge der Dynax 7D antreten. Sony verspricht eine gegenüber der alpha 100 verbesserte Bildqualität, und könnte damit unter anderem eine höhere Auflösung meinen. Dass man die dafür notwendigen Aufnahmesensoren bauen kann, hat der Elektronikhersteller schon vor zwei Jahren mit der Cyber-shot R1 unter Beweis gestellt. Deren CMOS-Sensor, dem Bildwandler der Nikon D2X nicht unähnlich, ergäbe in der Halbformatkamera alpha 300 bei üblichem Formatfaktor von 1,5 gegenüber dem Kleinbildformat und damit Sensorabmessungen von knapp 16 mal 24 Millimetern eine Auflösung von gut 12 Millionen Pixeln. Der Sensor der R1 zeichnet sich neben der hohen Auflösung durch die brauchbaren ISO-Einstellungen bis 3200 und – für Sony möglicherweise noch interessanter – durch seine Live-Bild-Fähigkeiten aus. Wenn Sony dem neuen alpha-Modell neben dem Live-View nun zusätzlich noch den Video-Autofokus der großen Cyber-shot liefert, der mittels der Bilddaten des CMOS-Sensors arbeitet, hätte der japanische Hersteller eine interessante Alternative zur inzwischen leider eingestellten Cyber-shot R1 im Programm. Sonys Carl-Zeiss-Objektiv Vario-Sonnar T* 3,5-4,5/16-80 ZA DT, das mögliche Set-Objektiv zur neuen alpha, wird ja ohnehin vielfach als die Wechselobjektiv-Version des R1-Zooms bezeichnet.

Das Gehäuse der neuen alpha dürfte dem Prototypen recht ähnlich sehen, den Sony erstmals während der Fotomesse der PMA im Frühjahr der Öffentlichkeit vorgestellt hat: Das fällt etwas größer aus als die alpha 100 und lässt sich für eine bessere Handhabung mittels zusätzlichem Hochformathandgriff ausstatten. Wie schon zu Minolta-Zeiten machen die Sony-Ingenieure die meisten Kameraeinstellungen direkt über dedizierte Bedienelemente verfügbar, ohne das der Nutzer Klickorgien in den Menüs der Kamerasoftware ausführen müsste. Gegenüber der Dynax 7D hat man jedoch ein paar Schalter und Schieber eingespart und durch Drucktasten ersetzt – das senkt die Herstellungskosten – dafür gibt es jetzt wie zu Minolta-Zeiten wieder einen Griffsensor, der gemeinsam mit einem Infrarotsensor am Sucherokular Autofokus und Belichtungsmessung aktiviert. Deutlich scheint die Minolta-Handschrift erkennbar, auch wenn die alpha weniger kantig als beispielsweise die Dynax 7D ausfällt.

Bis die zur PMA präsentierte „große“ Schwester in Serienfertigung geht – möglicherweise als alpha 500 mit Vollformatsensor, ohne eingebautes Blitzgerät, aber mit recht ähnlichem Bedienkonzept – werden wohl noch ein paar Monate ins Land gehen. Wenn es Sony in Zukunft gelingt, die von seinen Kompaktkameras bekannten Produktzyklen auf seine Spiegelreflexkameras zu übertragen, gibt es möglicherweise vorher noch einen Ersatz für die gut ein Jahr alte alpha 100 (vielleicht mit HD-Ausgang, passend zu den hauseigenen Fernsehgeräten?). Denn in ihrem Preissegment wird Sony auch in Zukunft die größeren Umsätze machen sollen, während die alpha 500 und die passenden Carl-Zeiss-Objektive wohl eher fürs Prestige sorgen sollen.

A propos. 19 Objektive führt Sony derzeit, darunter drei mit Carl-Zeiss-Schriftzug. Dass weitere geplant seien, hatte man ebenfalls zur PMA bekräftigt, und dazu acht Prototypen in die Vitrine gestellt. Welche Objektive das mal werden könnten, darüber wird in den Internetforen seit Monaten diskutiert. Eine Bestandsaufnahme versucht Minolta-Kenner David Kilpatrick in seinem Artikel Sony’s future alpha lenses and cameras (bei seinem „4/600“ verschätzt Kilpatrick sich wohl, wenn er die abnehmbare Streulichtblende nicht als solche erkennt). Anfang September dürfte Sony ein paar Geheimnisse lüften und auch – gemeinsam mit der alpha 300 – die ersten neuen Objektive vorstellen. Mindestens fünf neue Objektive will man bis zum März in den Handel bringen. Beim angekündigten 2,8/24-70 dürfte es sich um ein Kleinbildobjektiv handeln, wahrscheinlich wieder mit Carl-Zeiss-Gravur. Auch das 4,5-5,6/70-300 müsste ein Vollformatobjektiv sein, die Frage ist, ob es das preiswerte, von Minolta geerbte 4,5-5,6/75-300 ablösen oder mit dem Vario-Sonnar 3,5-4,5/16-80 ZA DT optisch wie preislich ein Paar bilden soll, also die derzeit fehlende Mittelklasse im Telebereich des Objektivsystems begründen könnte. Die Zusammenarbeit mit Tamron könnte sich im neuen Halbformat-Superzoom 3,5-6.3/18-250 niederschlagen. Die Tamron-Version genießt einen recht guten Ruf, die Sony-Variante könnte mittelfristig Sonys 18-200 ablösen.

Siehe auch:
Ein heißer Herbst; Teil 1 (Canon)
Ein heißer Herbst; Teil 2 (Nikon und Pentax)
Ein heißer Herbst; Teil 3 (Olympus, Panasonic und Leica)

Heute Abend gibt‘s dann den letzten Teil unserer Wahrsage-Serie; Sigma und die digitalen Kompaktkameras stehen auf dem Programm.

(mts)