Seit Monaten geistert sie durchs Netz, die Nikon D200 – und jetzt sind tatsächlich – wieder einmal – ein paar offizielle Fotos und Infos vorzeitig im Netz aufgetaucht und machen aus Gerüchten handfeste Tatsachen. Das gefällt einigen aber gar nicht; und lustigerweise sind das die, die sich im Grunde der Berichterstattung verschrieben haben:

Zunächst die vorliegenden Fakten und Gerüchte zur Nikon D200:

• APS-C-Sensor mit 10,4 Megapixeln
• Gehäusepreis um 1800 US$ (zzgl. MwSt.)
• AF-S Nikkor 3,5-5,6/19-200 mm G ED VR (VR = vibration reduction = Bildstabilisator) wird vorgestellt
• Offizielle Vorstellung Anfang November, wohl am 1.11.2005
• Lieferbar dann Anfang 2006

Erste offizielle Fotos waren bei Nikon UK zu finden, und sind nach wie vor u.a. hier einsehbar:
Nikon D200 Pictures from Nikons website!
The Nikon D200: this time it‘s official!

Diverse Seiten finden das nun gar nicht lustig:

Website security 101 (dpreview.com)
The Nikon D200: this time it‘s official! (Chasseur d‘Images)
Online-Magazine zeigen ihren Unmut über so genannte "Leaks" (digitalkamera.de)

Doch was soll dieser Sturm im Wasserglas?

ad 1) Besuchen minütlich geschätzte wenigstens 50-100 Besucher die lokalen Webseiten des jeweiligen Herstellers. Wenn da auch nur kurz etwas online ist, ist es entdeckt. Und irgendwann und irgendwie müssen die Hersteller die Informationen ja vorbereiten, auf dass sie rechtzeitig freigeschaltet werden können.
ad 2) Mag das zuweilen tatsächlich gar nicht so unbeabsichtigt sein; denn Vorabgerüchte heizen das Interesse an.

Nun ist es üblich, der (ausgewählten) Presse diese Informationen vorab zur Verfügung zu stellen, sie aber mit einer Sperrfrist zu versehen. Das bedeutet, vor einem bestimmten Datum darf die Information nicht veröffentlicht werden. Das erleichtert die Arbeit der Redaktion, da sie bereits vorab den Bericht vorbereiten kann. Wer sich nicht an diese Sperrfristen hält, bekommt künftig keine Vorabinformationen mehr – die Magazine tun also gut daran, die Sperrfrist einzuhalten. Online-Magazine ziehen den größten Nutzen daraus, denn ein Printmagazin wird selten just an dem Tag erscheinen, an dem die Sperrfrist abläuft. Online-Magazine jedoch können die Artikel entsprechend vorbereiten und auf den Punkt online stellen.

Der Unmut entzündet sich daran, dass diese „Exklusivität des kleinen Zirkels“ durch solche Lecks aufgeweicht wird – plötzlich sind es z.B. Einzelpersonen in ihren Blogs, die über die Neuigkeit zuerst berichten: Und wenn die Presse aus lauter Frust oder aus Zugzwang nur noch schnell und unverifiziert Informationen weiterleitet, die im Internet die Runde machen, leidet die Qualität der Berichterstattung insofern, dass der Leser nicht mehr genau auseinander halten kann, was Gerücht, was "Mund-zu-Mund-Propaganda" bzw. Marketing und was echte redaktionelle Inhalte sind. (Zitat digitalkamera.de)

Wie bitte? Sind nur Informationen vom Hersteller glaubwürdig? Bzw. ist es nicht eher so, dass gerade auch die Informationen des Herstellers „cum grano salis“ – mit etwas Skepsis – zu konsumieren sind? Ist es nicht an den Redaktionen und Redakteuren, genau dies zu leisten und zu trennen? Liegt die Qualität der Berichterstattung nicht auch darin, Artikel so zu verfassen, dass Gerüchte, Hersteller- und Redaktionsaussagen als solche deutlich unterscheidbar sind? Und – wie war das mit der Recherche?

Im jüngsten Fall haben wir beschlossen, die im Internet kursierenden Produktfotos einer Kamera, deren offizielle Ankündigung kurz bevorsteht, nicht zu veröffentlichen (obwohl diese definitiv authentisch sind), und raten unseren Lesern, nächste Woche abzuwarten. Denn wir haben mehr als ein paar Fotos und Eckdaten zu zeigen und werden in gewohnter Qualität über die neuen Produkte berichten. … (Zitat digitalkamera.de)

(Anmerkung: die Zitate sind der Webseite digitalkamera.de am 28.10.2005 gegen Mittag entnommen worden. Der Hinweis ist notwendig, da es mitunter passiert, dass diese Site Textpassagen und Artikel ohne jede Dokumentation ändert oder löscht.)

Klingt edel und hehr – aber was passiert da tatsächlich? Die Redaktionen (und digitalkamera.de steht hier nur stellvertretend für die „Aufreger“, aber auch andere Redaktionen) haben einen Pressetext mit Sperrfristvermerk – und daraus wird dann ein Artikel gebastelt. Die englischsprachigen Online-Magazine (und photoscala 😉 ) machen sich die Arbeit „einfach“ – sie übernehmen den kompletten offiziellen Pressetext und machen den als solchen kenntlich. Der Leser weiß exakt, wo die Information herkommt und kann sie gewichten und einordnen.

Ganz schlechter journalistischer Stil ist es, wenn einige Magazine (online wie offline) den Pressetext in Teilen oder komplett wortgetreu übernehmen; dabei aber nirgends kenntlich machen, aus wessen Feder er ursprünglich stammt. Der Anschein redaktioneller Berichterstattung entsteht, obwohl nur die (Werbe-) Aussagen des Hersteller wiedergekäut werden.

Andere Magazine, wie etwa digitalkamera.de, machen sich die Mühe, den Text durchzuarbeiten und umzuformulieren; die Basis der Information bleibt aber der offizielle Pressetext. Das ist nicht weiter zu beanstanden, doch sind hier selten tiefere Erkenntnisse enthalten als auch im Pressetext zu finden sind.

So ist die ganze Aufregung im Grunde nur zu verstehen, wenn die Informationen des Herstellers als die einzig verfügbaren begriffen werden. Das ist aber nicht so. Es gibt diese Informationen, und sie sind u.U. mit Sperrfristen versehen. Das hindert doch aber nicht, selbst zu recherchieren und zu verifizieren und sich ggfs. auf andere Quellen zu beziehen. Den Einzelnen so wenig wie eine Redaktion.

Der Vorteil einer professionell arbeitenden Redaktion ist darin zu sehen, dass auch die Recherche professionell erfolgt. Was publiziert wird, ist überprüft bzw. wird in seiner Fraglichkeit so auch benannt.

(thoMas)